Igel kennen, Igel schützen
Igel in Not
«Schau mal dort, ein Igel, so herzig!» So oder ähnlich tönt es immer wieder aus Quartieren in der ganzen Schweiz.
Igel sind da und leben mitten unter uns. Doch sie sind gefährdet.
Dass man Igel immer häufiger auch tagsüber antrifft, ist kein gutes Zeichen. Der Insektenrückgang macht ihnen zu schaffen, aber auch aufgeräumte, strukturlose Gärten und viele künstliche Hindernisse mindern die Lebensraumqualität. Erst kürzlich wurde der Igel deshalb auf die Rote Liste der gefährdeten Tierarten gesetzt. Es besteht Handlungsbedarf, wenn wir den Igel als unseren wilden Nachbarn erhalten wollen. Mit verschiedenen Aktivitäten setzt der Schweizer Tierschutz STS 2024 ein Zeichen für die Igel in Not und den Igelschutz.
Das Wichtigste in Kürze
- Igel sind geschützte Wildtiere. Sie dürfen laut Gesetz weder gefangen noch als Haustiere gehalten werden.
- Igel sind nützlich, weil sie Raupen, Larven und Schnecken fressen.
- Vor Gartenarbeiten und bei Gartengestaltung an den Igel denken: Igel fühlen sich in naturnahen, hindernisarmen, gut strukturierten Gärten am wohlsten. Vor dem Gebrauch von Fadenmäher oder Motorsensen wird ausdrücklich gewarnt.
- Gesunde Igel müssen nicht gefüttert oder künstlich überwintert werden.
- Igel rollen sich zwar nicht vor herannahenden Autos ein – doch sind sie meist zu langsam, um zu entkommen. Daher: Vor allem nachts auf Quartierstrassen langsam fahren.
Häufig vorkommende Notsituationen
- Wenn Sie einen Igel an einer gefährlichen Stelle finden, etwa auf der Strasse, vermeiden Sie die Gefahr oder halten Sie den Verkehr an*, bis der Igel verschwunden ist. Notfalls den Igel in Laufrichtung zur nächsten Grünfläche tragen.
- Niemals einen Igel an einen entfernten Ort bringen. Igel sind extrem reviertreu und haben in einer fremden Umgebung nur geringe Überlebenschancen. Das Aussetzen im Wald ist kontraproduktiv, da Igel nie im Wald gelebt haben.
- Nur kranke, verletzte und kurz vor Winterbeginn unterernährte Tiere sollten als Findeltiere behandelt werden. Am besten bringt man sie in eine spezialisierte Igelstation in professionelle Pflege.
* Anhalten und Ruhe bewahren, Warnblinkanlage einschalten, Warnweste anziehen und beim Verlassen des Fahrzeugs immer den Verkehr beachten, evtl. Pannendreieck aufstellen oder andere Person Pannendreieck schwenken lassen.
Was den Igel besonders macht
Der Braunbrustigel ist dank seines charakteristischen Stachelgewandes ein unverkennbarer – und legendenumrankter – Vertreter der einheimischen Tierwelt. Früher sagte man dem Igel nach, dass er den Kühen die Milch stehle oder Nahrungsvorräte auf seinen Stacheln transportiere. Und wer kennt nicht die Fabel vom Igel und seiner Frau, die den eingebildeten Herrn Hase im Wettlauf besiegen!
Der Igel – ein Insektenfresser
Der Braunbrustigel gehört zur Gattung der Kleinohrigel und nicht etwa, wie fälschlicherweise oft angenommen, zu den Nagetieren. Zusammen mit Maulwürfen, Spitzmäusen und Rüsslern bilden die Igel eine eigene Säugetier-Ordnung – die Insektenfresser. Europäische Igel werden 22 – 30 cm lang. Das Fell ist einfarbig braungrau. Selten kommen auch heller gefärbte Exemplare und Albinos vor. Das Körpergewicht variiert je nach Alter und Jahreszeit zwischen 300 und maximal 1500 Gramm.
Trutzige Stacheln
Ein ausgewachsener Igel weist 6000 bis 8000 beige-schwarz-weiss gestreifte Stacheln auf. Stacheln sind modifizierte, im Innern hohle Haare, deren Keratinschicht verhornt ist und die dem Schutz gegen Fressfeinde dienen. Bei Gefahr rollt sich der Igel mittels Kontraktion eines speziellen Ringmuskels entlang der Stachel-Haargrenze zusammen, und die Aufrichtmuskeln am Haarbalg stellen die Stacheln auf und verwandeln den regungslosen Igelkörper in eine unnahbare «Stachelkugel».
Igel fühlen sich wohl in vielfältigen Gärten
Igel benötigen reich gegliederte Lebensräume – Feldfluren mit Hecken, Altgrasbeständen, Totholzdickicht und gegliederten Laubwaldrändern, aber auch Streuobstwiesen, Parks und Gärten. In der Schweiz besiedeln sie das gesamte Mittelland und Teile des Juras und der Alpen.
Igel gelten im Siedlungs-Ökosystem als Schirmart, das heisst, wenn man den Igel erhält, indem man seinen Lebensraum schützt, tut man zugleich weiteren, teilweise seltenen Arten mit ähnlichen Lebensraumansprüchen Gutes. Dazu gehören Blindschleichen, Hausspitzmaus, Gartenrotschwanz, Hornisse, Wildbienen, Tagpfauenauge und Taubenschwanz.
Der Igel ist ein typischer Kulturfolger, der sich in Siedlungsgebieten wohlfühlt. Igel sind sehr ortstreu, aber nicht territorial – ihre Aktionsgebiete von 10 bis 100ha überlappen sich, wobei die deutlich aktiveren Männchen weitaus grössere Aktionsgebiete aufweisen als die Weibchen. Ausserhalb der Paarungszeit sind Igel überzeugte Einzelgänger. Jedes Tier legt auf seinen nächtlichen Streifzügen 1 bis 3 km zurück und vermeidet im Allgemeinen den Kontakt zu Artgenossen. Den Tag verbringt es in einem geschützten, selbst gebauten Nest aus Laub und Gras, das es im Verlaufe eines Sommers 20 bis 30 Mal wechselt.
Auf Futtersuche gibt der Igel charakteristische Geräusche von sich: Schnaufund Niesgeräusche, begleitet vom Rascheln von Laub und Gras. Die wohl auffälligsten Geräusche verursachen Igel während der Paarungszeit: Das Männchen verfolgt und umkreist das Weibchen, das ihn zuerst stundenlang abweist. Während dieses «Igelkarussell» genannten Werbens geben beide Tiere charakteristische Schnarchund Sägegeräusche von sich, die schon so manchen Gartenbesitzer um den nächtlichen Schlaf gebracht haben dürften.
Tag der guten Tat: STS war dabei
Am 25. Mai 2024 fand der fünfte «Tag der guten Tat» statt. Die schweizweite Mitmach-Aktion stellt das freiwillige Engagement ins Zentrum und motiviert, Gutes zu tun. Die Initiative wird von Coop gemeinsam mit den Partnern SRK, WWF Schweiz, Pro Infirmis, Pfadibewegung Schweiz, Schweizer Tafel und BirdLife durchgeführt und von benevol Schweiz und weiteren Organisationen unterstützt.
Auch der Schweizer Tierschutz STS beteiligte sich an der Aktion. Er stellte sein Fokusthema 2024 «Igel in Not» ins Zentrum, gab Tipps zur igelfreundlichen Gartengestaltung und rief alle Tierfreundinnen und Tierfreunde auf, am 25. Mai eigene Aktionen zur Gartenoptimierung zu organisieren: Warum nicht mit den Nachbarn gemeinsam den Garten igelfreundlich gestalten?
Mehr Informationen: www.tag-der-guten-tat.ch
Tischlein deck dich…
Auf der Speisekarte des Igels stehen die für andere Tiere ungeniessbaren Laufkäfer sowie Ohrwürmer, Schmetterlingsraupen, Tausendfüsser, Asseln, Regenwürmer, Aas, selten junge Mäuse und kleine Eier bodenbrütender Vögel, sowie Nacktschnecken. Letztere machen allerdings nur etwa 5 bis 10 % der vom Igel genutzten Beutetiere aus und übertragen zudem den Lungenwurm, eine bei Igeln häufige und bedrohliche Parasitose.
Obschon es die Legende will, spiessen Igel kein Fallobst auf ihren Stacheln auf (zumindest nicht absichtlich!). Auch dass Igel den Kühen die Milch von den Zitzen stehlen, ist eine Mär. Zwar nimmt der Igel Milch zu sich, wenn man ihm sie in einer Schale anbietet, doch wie den meisten erwachsenen Säugetieren bekommt sie ihm nicht! Igel benötigen zum Überleben auch gar keine Zufütterung durch den Menschen. Eine Vogeltränke oder flache Blumenschale mit frischem Wasser wird in heissen Sommern aber gerne angenommen und ist auch aus wildtierbiologischer Sicht sinnvoll.
Eine Schlafmütze
Im Winter finden Igel keine Nahrung mehr. Um zu überleben, verfallen sie in einen energiesparenden Winterschlaf – ein Zustand stark reduzierter körperlicher Aktivität, der mit eigentlichem Schlaf wenig zu tun hat. Ende Oktober ziehen sie sich in ein Nest unter Reisig- oder Laubhaufen zurück und reduzieren ihren Stoffwechsel stark. Während des Winterschlafs schlägt das Herz nur noch 8 bis 20 Mal pro Minute, die Atemfrequenz beträgt nur noch 5 Atemzüge/Min.! Auch die Körpertemperatur sinkt von rund 37 Grad auf nur 5 Grad ab. Obschon der Igel den Winter im Energiesparmodus verbringt, verliert er während der 5 bis 6 Monate im Tiefschlaf rund 15% seines herbstlichen Körpergewichts. Man geht davon aus, dass ein Körpergewicht von über 500 g notwendig ist, um (je nach Alter und Witterung) die Wintermonate zu überleben. Daher muss der Igel im Spätsommer besonders viel und reichhaltige Nahrung zu sich nehmen, um sein individuelles «Startgewicht» zu erreichen.
Stacheliger Kindergarten
Igel paaren sich in unseren Breitengraden zwischen Mai und August, wenn sie nach dem Winterschlaf wieder ein gesundes Körpergewicht erreicht haben. Die Tragzeit dauert 35 Tage. Die meisten Jungtiere kommen im August zur Welt, doch kann man in der Schweiz von Mai bis September mit Jungigeln im Garten rechnen. Meist hat die Igelin nur einen Wurf im Jahr, doch kann es in besonders guten Sommern oder bei Verlust des ersten Wurfs vorkommen, dass im Spätsommer/Herbst noch ein zweiter Wurf geboren wird. Diese «Spätlinge» überleben den Winter aber meistens nicht, da ihnen kaum Zeit bleibt, das für den Winterschlaf notwendige Körpergewicht anzulegen. Die Jungensterblichkeit ist hoch. Pro Wurf überleben meist nur 1 bis 2 Jungtiere ihr erstes Lebensjahr.
Der Mensch ist für den Igel die grösste Gefahr
Igel haben trotz ihres Stachelpanzers einige natürliche Feinde. Besonders gefährlich werden ihnen Uhu und Dachs, deren Klauen und Tatzen sich von den Igelstacheln kaum abschrecken lassen. Junge und kranke Igel fallen auch dem Steinmarder, Fuchs, Wildschwein, Rabenvögeln und Hunden zum Opfer.
Bedeutender sind für den Igel aber menschengemachte Gefahren. Allein in Deutschland sterben pro Jahr rund 1 Million (!) Igel auf Strassen. Unser immer dichteres Strassennetz zerschneidet die Landschaft in immer kleinere Kammern und kann die Wiederbesiedlung von igelfrei gewordenen Gebieten u.U. völlig verunmöglichen. Lokale Abhilfe schaffen können Wildbrücken, Warnschilder und Temporeduktionen.
Gefahr entsteht dem Igel auch durch Gartenarbeiten. Einige Schneckenkörner sind für Igel wahrscheinlich chronisch giftig. Eine weitere Bedrohung ist das herbstliche Bearbeiten von Kompost- und Laubhaufen mit Heugabeln. Diese sollten daher vor dem Umschichten vorsichtig nach Igeln durchsucht werden. Noch besser ist es, wenn Laub- oder Asthaufen Teil der Gartenumgebung sind und bleiben.
Eine grosse Gefahr stellt der unsachgemässe Einsatz von Fadenmähern und Motorsensen dar. Diese Geräte können zu qualvollen Verletzungen oder sogar zum Tod von Igeln führen. Auch Mähroboter bergen ein Gefahrenpotential, besonders für Jungigel. Es wird deshalb geraten, die Mähroboter nur tagsüber laufen zu lassen, um die Aktivitätszeit des Igels zu umgehen. Vor dem Einsatz von Laubbläsern bei Igelpräsenz wird ebenfalls abgeraten, da sich Igel im Herbst in den Laubhaufen verstecken, dort oft Nahrung finden oder sich für den Winterschlaf vorbereiten.
Eine tödliche Falle für Igel sind auch Weide- und Rebnetze oder Elektrozäune. Bei Elektrozäunen dürfen die untersten Drähte keinen Strom führen oder sie müssen genügend Abstand zum Boden haben, damit sich Igel nicht darin verfangen können. Rebnetze müssen immer straff gespannt sein und sollten keinen Bodenkontakt haben. Zudem sollten sie täglich kontrolliert werden, damit im Notfall rasche Hilfe gewährleistet ist. Bei Nichtgebrauch sollten alle Netze raschmöglich entfernt werden. Bei sämtlichen Netzen ist darauf zu achten, dass die Maschen nicht zu gross sind, damit Igel nicht versuchen, hindurch zu schlüpfen und sich dabei strangulieren.
Schwimmbecken, Lichtschächte und Kellertreppen bilden eine weitere Gefahr für Igel, die abstürzen und elendiglich ertrinken oder verhungern/verdursten können. Um dies zu vermeiden, sollte man diese Fallen mit hölzernen Ausstiegshilfen (ein Brett mit Querleisten oder eine Schilfmatte reichen) versehen.
Schliesslich verzichtet der Igelfreund auch auf den Einsatz von Marder- oder Katzenschreckgeräten mit Ultraschalltönen. Studien haben gezeigt, dass Igel derart beschallte Gebiete grossflächig meiden, da sie die unangenehmen Ultraschalltöne hören und damit vergrämt werden. Ihr potentieller Lebensraum wird dadurch noch weiter eingeschränkt.
Richtiger Umgang mit Findeltieren
Welche Igel benötigen menschliche Hilfe? Wenn sich kurz vor Wintereinbruch noch unterernährte oder junge Igel finden, die weniger als 500 g auf die Waage bringen (sogenannte Herbstigel), wenn ein Tier offensichtlich krank oder verletzt ist, oder man einen verwaisten, unterkühlten Säugling auffindet, sollte geholfen werden. In jedem Fall ist aber zu beachten, dass eine Unterbringung nur vorübergehender Natur sein kann. Die Haltung des Wildtiers Igel für mehr als wenige Tage ist nämlich bewilligungspflichtig.
Mit Vorteil bringt man Findeltiere daher gleich zur nächsten Igelstation, die auf die Pflege dieser Tiere spezialisiert ist. Die Haltung von Igeln – auch nur vorübergehend – ist für Laien nicht zu empfehlen. Tierärzte nehmen in der Regel keine Igel in Pflege.
Was der STS für den Igelschutz macht
- Informieren und aufklären
- Finanzielle Unterstützung der ihm angeschlossenen Igelstationen
- Initiieren igelfreundlicher Zaunsysteme