Brandschutznormen und Tierschutz: Kantone und Bund schieben die Verantwortung hin und her
Bei lebendigem Leib verbrennen oder ersticken zu müssen, gehört wohl zu den grausamsten Arten zu sterben. Dies gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere. Oft fehlen die technischen Voraussetzungen für einen angemessenen Brandschutz und Fluchtwege in Ställen. Aus Sicht des Schweizer Tierschutz STS bestehen seit Jahren in Bezug auf die bautechnischen Vorgaben beim Stallbau und Stallbetrieb grosse regulatorische und rechtliche Lücken. Das ist unhaltbar.
Von Dr. Pius Odermatt, Leiter Politik STS
Jedes Jahr erleiden in der Schweiz mehrere hundert Tiere einen grausamen Tod in den Flammen, dies seit vielen Jahren. So verbrannten oder erstickten im Mai 2024 in Gossau SG rund 800 Schweine qualvoll. Im Dezember 2023 kamen bei einem Stallbrand in Bottens VD 500 Rinder und Kälber ums Leben. Möglich sind solche Schicksale, weil in immer grösseren Ställen immer mehr Tiere gehalten werden und somit im Brandfall gleich mehrere Hundert Tiere sterben. Und auch, weil im Fall eines Feuers oftmals technische Mängel oder menschliches Versagen vorliegen, weil die Produzenten unter immer grösserem wirtschaftlichem Druck stehen. Aufgrund fehlender Regelungen beim Brandschutz in Stallgebäuden ist davon auszugehen, dass es noch weitere ähnliche Katastrophen geben wird.
Eklatante Gesetzeslücken beim Brandschutz in Tierställen
Aus Sicht des Tierschutzes bestehen seit Jahren erhebliche Regelungs- und Gesetzeslücken bei den baulichen und technischen Anforderungen an den Stallbau und den Stallbetrieb. Es existiert seit Langem dringender Handlungsbedarf, um solche tragischen Schicksale mit immensem Tierleid wirksam zu verhindern und die Tiere in den Ställen zu schützen. Verschärfte gesetzliche Regelungen und behördliche Kontrollen müssen sicherstellen, dass die Rettung von Tieren im Brandfall genauso effektiv und schnell möglich ist wie die Rettung von Menschen.
Bund und Kantone schieben sich den Ball hin und her und vergeuden dabei Zeit
Bessere und schnell wirksame Brandschutzmassnahmen scheitern an der Kompetenzregelung zwischen Bund und Kantonen. So werden in der laufenden Revision der Brandschutznormen (gültig ab 2026) durch die Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF) Tiere nicht mehr als Schutzgut berücksichtigt – im Gegensatz zu Menschen und Sachgütern. Der VKF ist der Meinung, dass der Bund für tierspezifischen Brandschutz zuständig ist. Dieser sieht das anders und spielt den Ball den Kantonen zu. Er empfiehlt dem Parlament, das Postulat von Nationalrätin Anna Giacometti zu tierspezifischen Brandschutzvorschriften für Ställe abzulehnen. Weil er angeblich keine Bundeskompetenz zum Erlass von Brandschutzvorschriften habe. Diese falle in die Kompetenz der Kantone.
Dieser Auffassung ist vehement zu widersprechen. Der Bund ist gemäss Art. 80 Abs. 1 BV zum Erlass von Vorschriften über den Schutz der Tiere verpflichtet. Insbesondere im Bereich der Tierhaltung hat der Bund nach Art. 80 Abs. 2 lit. a BV legislatorisch umfassend tätig zu werden. Prof. Peter V. Kunz, Mitglied des Zentralvorstands des Schweizer Tierschutz STS, spricht sogar von einer «Auftragsverweigerung durch den Bund». Dies gilt besonders in Anbetracht des Umstands, dass der Bund Massentierhaltungen explizit zulässt, die mit deutlich erhöhten Risiken für das Leben, die Würde und das Wohlergehen der Tiere im Katastrophenfall einhergehen. Kann der Brandschutz in Grossbetrieben durch bauliche, technische und organisatorische Massnahmen nicht gewährleistet werden, ist diesem Umstand durch drastisch verringerte Tierzahlen Rechnung zu tragen. Die Inkaufnahme des unnötigen und grausamen Versterbens von landwirtschaftlich genutzten Tieren ist unhaltbar.
STS fordert den Bund zum Handeln auf
Das fachlich vom STS unterstützte Postulat verlangt vom Bundesrat, dass er die Einführung tierspezifischer Brandschutzvorschriften für Ställe prüft. Vorbeugender Brandschutz muss bereits im Planungsstadium von baulichen und technischen Anlagen sowie in bereits bestehenden Betrieben berücksichtigt und gegebenenfalls angepasst werden. Mit Brand- und Rauchmelder sowie Sprinkleranlagen in Ställen bestehen heute präventive technische Lösungen. Diese müssen zur Prävention flächendeckend in allen Ställen installiert werden. Im Weiteren muss bei Bränden auch das artspezifische Verhalten der Tiere berücksichtigt werden.
Für den STS ist klar, dass die Kompetenz zur Sicherstellung des Tierschutzes auch im Brandfall dem Bund obliegt. Er fordert den Bund auf, zeitnah entsprechende Regelungen zum Schutz der Tiere einzuführen, damit die Qual hunderter Tiere bei Stallbränden endlich ein Ende hat.
Es wäre falsch zu glauben, dass Brandschutzmassnahmen alleine durch Sensibilisierung und Ausbildung Privater verbessert werden können. Der BUL (Brand und Unfallverhütungsstelle) fehlen seit Jahren Ressourcen für die Aktualisierung ihrer Merkblätter. Der STS ist der Meinung, dass freiwillige Massnahmen zu fördern sind, aber nicht ausreichen.
Was wird der STS unternehmen?
- Der Nationalrat soll das Postulat von Nationalrätin Anna Giacometti annehmen und dem Bund den Auftrag geben, tierspezifischer Brandschutzvorschriften für Ställe zu prüfen. Der STS wird sich dafür einsetzen.
- Gleichzeitig wird er versuchen die Partner für konstruktive Lösungen an den Tisch zu bringen – damit die Tiere nicht zwischen Stuhl und Bank fallen.
- Falls es kein Einlenken der Parteien gibt, wird der STS den Druck in der Öffentlichkeit, Medien und Politik erhöhen.